10. Nach welchen Kriterien lassen sich die verschiedenen Lungenkrebsarten und Lungenkrebsstadien unterteilen ?

A GEWEBETYP
Eine Unterteilung erfolgt nach der feingeweblichen Untersuchung (Histologie) durch den Pathologen.
Es werden grundsätzlich die kleinzelligen von den nicht-kleinzelligen Karzinomen unterschieden. Diese Unterscheidung ist aufgrund der unterschiedlichen Therapie von kleinzelligen und nicht-kleinzelligen Karzinomen bedeutsam.
Die nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinome werden zudem histologisch nach der entarteten Ursprungszelle noch weiter unterteilt.
  1. Kleinzellige Karzinome
    (englisch SCLC = small cell lung cancer)
     

    Kleinzellige Karzinome wachsen sehr schnell, entstehen typischerweise im Bereich der Lungenwurzel und metastasieren frühzeitig in andere Organe (80 % sind bereits bei Diagnosestellung metastasiert). Sie sprechen gut auf Chemotherapie und Bestrahlungstherapie an. Trotzdem haben sie die schlechteste Heilungschance aller Bronchialkarzinome.
    Die weitere Unterteilung in kleinzellige Karzinome vom Haferzelltyp (oat-cell-typ) und kleinzellige Karzinome vom intermediären Zelltyp ist für die Wahl der Therapie sowie für die Prognose von untergeordneter Bedeutung.
     

  2. Nicht-Kleinzellige Karzinome
    (englisch NSCLC = non small cell lung cancer)
     

    Nicht-kleinzellige Karzinome wachsen langsamer (aber nicht langsam!), metastasieren relativ spät über den Blutweg in entfernte Organe und sprechen auf eine Chemotherapie oder eine Bestrahlungstherapie nur wenig an. Ist eine vollständige operative Entfernung möglich, so haben sie die besten Heilungschancen.

    • Plattenepithelkarzinome
    • Adenokarzinome
      Das Adenokarzinom kommt weltweit zunehmend häufiger vor und ist darüber hinaus der häufigste Karzinomtyp bei Frauen. Rauchen spielt eine geringere Rolle als bei anderen Bronchialkarzinomtypen (50 % betreffen Nichtraucher!). 

      Eine Unterform des Adenokarzinoms ist das bronchioloalveoläre Karzinom, dass überwiegend in den Lungenbläschen und entlang des Lungengerüstes wächst und im Röntgenbild einer Lungenentzündung ähneln kann.

    • Großzellige Karzinome
      Das großzellige Karzinom hat die schlechteste Prognose aller nicht-kleinzelligen Karzinome und ist gelegentlich histologisch schwer von einer Metastase eines Nierenzellkarzinoms abzugrenzen.
Die Einteilung nach dem Gewebetyp hat große Bedeutung für die Therapie, da bei kleinzelligen Karzinomen die Therapie der ersten Wahl eine andere ist als bei den nicht-kleinzelligen Karzinomen.
B DIFFERENZIERUNGSGRADUnter dem Differenzierungsgrad (englisch „grading„) versteht man das Ausmaß der Entartung.
Gut differenzierte Tumoren ähneln noch sehr dem Ausgangsgewebe, während schlecht differenzierte bzw. entdifferenzierte Tumoren kaum noch die Ursprungszelle erkennen lassen.
Man unterteilt:


Grad 1           Gut differenziert
Grad 2           Mäßig differenziert
Grad 3           Schlecht differenziert
Grad 4           Undifferenziert
Großzellige Bronchialkarzinome und kleinzellige Bronchialkarzinome entsprechen immer entdifferenzierten Grad 4-Tumoren.
Dass entdifferenzierte Tumoren in jedem Fall eine schlechtere Prognose haben, ist nicht endgültig bewiesen. Gewebetyp und Tumorstadium sind hinsichtlich der Heilungschancen sicherlich von größerer Bedeutung.
Der Differenzierungsgrad von Lungentumoren hat keinen Einfluss auf die Auswahl der Therapie.
C TUMORSTADIUM
Eine in Bezug auf die Therapie sehr wichtige Einteilung erfolgt nach der Ausdehnung des Tumors in sogenannten Tumorstadien (englisch „staging„) mit Hilfe der international üblichen TNM-Klassifikation nach den Regel der UICC (unio internationalis contra cancrum, internationale Union gegen den Krebs).
In Kapitel 14 wird hierauf ausführlich eingegangen.
 T = Tumor
N = Lymphknotenbefall („nodus“)
M = Metastasen
Sämtliche bösartigen Tumoren aller Organe werden nach diesem System eingeteilt.
T1-3 In der Regel auf das Organ begrenzter Tumor 
T4  Tumor überschreitet die Organgrenze 
N0 Kein Lymphknotenbefall
N1/2  In der Regel regionaler Lymphknotenbefall 
N3 Befall entfernterer Lymphknoten
M0 Keine Fernmetastasen
M1 Fernmetastasen
Für jeden Tumor existiert eine eigene Einteilung nach der TNM-Klassifikation, in der T1-4, N1-3 und M0/1 genau festgelegt werden.
Nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome:
Die TNM-Klassifikation für das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom ist nachfolgend aufgelistet. Bereits die Erfüllung eines der genannten Kriterien reicht aus, um der jeweiligen Gruppe zugerechnet zu werden.
TNM-KLASSIFIKATION DER NSCLC
TUMOR
Tx Positive Zytologie (alleiniger Nachweis von Tumorzellen, aber kein Tumor nachweisbar)
Tis Tumor noch auf die Schleimhaut begrenzt (carcinoma in situ)
T1 Tumordurchmesser < 3 cm / Hauptbronchus nicht befallen
T2 Tumordurchmesser > 3 cm / Ausbreitung in die Hilusregion / Einwachsen in die viscerale Pleura / Teil-Atelektase eines Lungenflügels / Hauptbronchusbefall 2 cm oder weiter von der Aufteilung in die Hauptbronchien entfernt
T3 Einwachsen in die Brustwand / das Zwerchfell / den Herzbeutel / die ans Mittelfell (Mediastinum) grenzende Pleura / Totalatelektase eines Lungenflügels / Hauptbronchusbefall im Bereich der ersten 2 cm ab der Aufteilung in die Hauptbronchien
T4 Einwachsen in das Mittelfell (Mediastinum) / das Herz / die großen Gefäße / die Luftröhre / die Speiseröhre / Nachweis von bösartigen Zellen im Pleuraerguß
LYMPHKNOTEN
N0 Kein Lymphknotenbefall
N1 Befall von Lymphknoten entlang der Bronchien und/oder Hiluslymphknoten auf der betroffenen Seite (ipsilateral)
N2 Befall von Lymphknoten im Bereich des Mittelfells auf der betroffenen Seite (ipsilaterale mediastinale Lymphknoten)
N3 Befall von Lymphknoten im Bereich des Mittelfells auf der gegenüberliegenden Seite (kontralaterale mediastinale Lymphknoten) / Befall von Lymphknoten im Bereich bestimmter Halsmuskeln (Skalenus) und/oder oberhalb des Schlüsselbeines auf der betroffenen Seite (ipsilaterale supraklavikuläre Lymphknoten)
METASTASEN
M0 Keine Fernmetastasen nachweisbar
M1 Fernmetastasen nachweisbar
Ausgehend von der angeführten TNM-Klassifikation findet dann die Zuordnung zu den einzelnen Tumorstadien wie folgt statt:

STADIENEINTEILUNG DER NSCLC    

   Stadium         Tumor       Lymphknoten   Metastasen  
Okkultes
Karzinom
Tx N0 M0
0 Tis N0 M0
I  A
I  B
T1
T2
N0
N0
M0
M0
II A
II B
T1
T2
T3
N1
N1
N0
M0
M0
M0
III AIII B T1
T2
T3
T3
Jedes T
T4
N2
N2
N1
N2
N3
Jedes N
M0
M0
M0
M0
M0
M0
IV Jedes T Jedes N M1
Diese Tumorstadien-Einteilung ist nicht nur Grundlage der Therapieentscheidung, sondern zudem wichtig für die Beurteilung der Heilungsaussichten (siehe Kapitel 17).
Kleinzellige Bronchialkarzinome:
Am häufigsten findet bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen die Stadieneinteilung der VALG (Veterans Administration Lung Cancer Study Group) Anwendung.
LIMITED DISEASE (LD)
Tumor begrenzt auf eine Thoraxhälfte mit oder ohne  Befall der gleichseitigen oder gegenüberliegenden mediastinalen Lymphknoten oder der gleichseitigen supraklavikulären Lymphknoten und mit oder ohne gleichseitigen Pleuraerguss unabhängig vom zytologischen Ergebnis.
EXTENSIVE DISEASE (ED)
Jede Tumorausbreitung über das Stadium „limited disease“ hinaus.
Diese Einteilung orientiert sich an der Möglichkeit einer Bestrahlung (beim „extensive disease“ ist aufgrund der erforderlichen Größe des Bestrahlungsfeldes eine Bestrahlung aller Tumoranteile nicht durchführbar oder es bestehen bereits Fernmetastasen).
Unberücksichtigt bleiben aber die großen prognostischen Unterschiede innerhalb beider Gruppen.
Die Marburger Klassifikation ist eine weitere Möglichkeit, das kleinzellige Bronchialkarzinom nach der jeweiligen Tumorausdehnung in Tumorstadien einzuteilen.
VERY LIMITED DISEASE (VLD)
Tumor von Lungengewebe oder visceraler Pleura umgeben, Teil-Atelektase, Befall von Lymphknoten entlang der Bronchien und/oder Hiluslymphknoten auf der betroffenen Seite (ipsilaterale hiläre oder bronchiale Lymphknoten), kleiner Pleuraerguss ohne bösartige Zellen.
LIMITED DISEASE (LD)
Einwachsen des Tumors in die Brustwand / das Zwerchfell /den Herzbeutel / die ans Mittelfell (Mediastinum) grenzende Pleura,Totalatelektase eines Lungenflügels,Befall von Lymphknoten im Bereich des Mittelfells auf der betroffenen und/oder gegenüberliegenden Seite (ipsilaterale oder kontralaterale mediastinale Lymphknoten) oder Befall von Lymphknoten im Bereich des Hilus auf der gegenüberliegenden Seite (kontralaterale hiläre Lymphknoten),kleiner Pleuraerguss ohne bösartige Zellen.
EXTENSIVE DISEASE I (ED I)
Einwachsen des Tumors in das Mittelfell (Mediastinum) / das Herz / die großen Gefäße / die Luftröhre / die Speiseröhre / die Wirbelsäule, Befall von Lymphknoten oberhalb des Schlüsselbeines auf der betroffenen und/oder der gegenüberliegenden Seite (ipsilaterale und/oder kontralaterale supraklavikuläre Lymphknoten), Pleuraerguss und/oder Perikarderguss mit Nachweis bösartiger Zellen, Stimmbandlähmung (Nervus Recurrens-Parese), Zwerchfelllähmung (Nervus Phrenicus-Parese), Obere Einflussstauung (Vena-Cava-Superior-Syndrom)
EXTENSIVE DISEASE II A (ED II A)
Fernmetastasen in einem Organ einschließlich Tumorbefall der gegenüberliegenden Lunge.
EXTENSIVE DISEASE II B (ED II B)
Fernmetastasen in mehr als einem Organ.
Die Marburger Klassifikation wird der prognostischen Bedeutung eher gerecht.
Die mittleren Überlebenszeiten (mit Therapie!) liegen im Stadium „very limited disease“ bei etwa 17 Monaten, im Stadium „extensive disease II B“ aber nur noch bei etwa 6 Monaten.
Die 2-Jahres-Überlebensrate beträgt beim kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium „very limited disease“ etwa 30%, beim kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium „extensive disease II B“ etwa 1 % (siehe auch Kapitel 17)

D SONDERFORMEN

Pancoast-Tumor oder Sulcus-Superior-Tumor
Dieser Tumor wird oftmals gesondert betrachtet, weil er an einer bestimmtem Stelle in der Lungenspitze (dem sogenannten Sulcus superior) entsteht und durch diese Lage
  1. ein typisches Beschwerdebild aufweist und
  2. die Therapie einem abgewandelten Behandlungsschema folgt (siehe auch Kapitel 14).
Im Vergleich zur Gesamtzahl der Bronchialkarzinome tritt ein Pancoast-Tumor selten auf, insgesamt nehmen weniger als 5 % aller Bronchialkarzinome ihren Ausgang vom Sulcus superior in der Lungenspitze.