09. Welche weiteren Untersuchungen sind vor Einleitung einer Therapie erforderlich?

A Untersuchung anderer Organe
Die Gesamtheit aller Untersuchungen zur Feststellung der Ausbreitung eines Tumors bezeichnet man als „Staging„.
Der Begriff der „prognostischen Operabilität“ bedeutet, dass auf Grund des Fehlens von Fernmetastasen die vorgesehene Operation zu einer vollständigen Tumorfreiheit und somit zu einer Heilung führen kann (siehe Kapitel 14).
Die häufigsten Metastasenlokalisationen sind Leber, Nebenniere, Skelett und Gehirn. Insbesondere beim kleinzelligen Bronchialkarzinom finden sich in 70 – 80 % der Fälle schon zum Zeitpunkt der Diagnosestellung Fernmetastasen.
Abdomensonographie
Die Abdomensonographie läßt bei den meisten Patienten eine ausreichende Beurteilung von Leber und Nebennieren zu. Darüber hinaus können auch andere Organe des Bauchraumes wie NierenBauchspeicheldrüse und Darm, in die Lungenkrebs seltener streut, auf Metastasen überprüft werden.
Abdomen-Computertomographie
Eine Computertomographie des Bauchraumes ist nur erforderlich, wenn die Ultraschall-Untersuchung unklare Befunde zeigt oder auf Grund schlechter Schallbarkeit des Patienten keine zuverlässige Aussage über einen Tumorbefall von Bauchorganen möglich ist.
Computertomographie des Schädels
Die Computertomographie ist aktuell noch die Methode der Wahl. Bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen wird in Anbetracht der Häufigkeit von Hirnmetastasen regelhaft ein Computertomogramm des Kopfes angefertigt. Im Falle neurologischer Ausfallserscheinungen ist es auch bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen zwingend erforderlich. Bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen ohne neurologische Ausfälle bestehen hinsichtlich der Notwendigkeit unterschiedliche Meinungen. Zumeist wird diese Untersuchung aber durchgeführt.
Magnet-Resonanz-Tomographie  bzw. Kernspin-Tomographie des Schädels (MRT):
Ein MRT des Schädels wird derzeit zumeist durchgeführt, wenn die computertomographische Untersuchung unklare Befunde zeigt. Zukünftig wird das MRT aber wohl auf Grund der höheren Empfindlichkeit die Computertomographie als routinemäßige Methode bei der Beurteilung des Gehirns ablösen.
KnochenszintigraphieBei dieser nuklearmedizinischen Methode reichert sich ein gering radioaktiver, intravenös verabreichter Stoff innerhalb weniger Stunden im Knochen an. Das dann mit einer Spezialkamera angefertigte Bild offenbart Knochenbereiche mit erhöhter Stoffwechselaktivität.
Erhöhte Knochenstoffwechselaktivität findet sich bei Knochenmetastasen, aber auch bei degenerativen Veränderungen (Verschleiß) und Knochenbrüchen.
Um Metastasen sicher von nicht-bösartigen Knochenveränderungen abgrenzen zu können, wird in Zweifelsfällen ein normales Röntgenbild des entsprechenden Knochens angefertigt (sogenanntes „Gegenröntgen„). Nur in wenigen Fällen ist zur Klärung zusätzlich noch eine Computertomographie oder eine Magnet-Resonanz-Tomographie erforderlich.

Beckenkammpunktion

Bei kleinzelligen Bronchialkarzinomen früher regelhaft durchgeführt, erfolgt die Entnahme von Knochenmark und Knochengewebe heute nur noch in Ausnahmefällen.
Weitere, über die hier angeführten Untersuchungen hinausgehende Maßnahmen werden in Abhängigkeit von Beschwerden durchgeführt.
Bestehen Zweifel an der Bösartigkeit von Veränderungen, so ist in vielen Fällen eine Punktion mit Gewinnung von Gewebe zur feingeweblichen Untersuchung möglich (Leber, Niere, Nebenniere, Knochen, Haut).
In wenigen Fällen ist das Bronchialkarzinom technisch und funktionell operabel, es läßt sich aber nicht klären, ob es sich bei auffälligen Veränderungen anderer Organe um Metastasen oder gutartige Veränderungen handelt.
In diesen Fällen erfolgt ebenfalls eine Operation des Tumors, um die Chance auf eine Heilung nicht zu versäumen. Die metastasenverdächtigen Veränderungen werden postoperativ regelmäßig kontrolliert. Sollten sie sich tatsächlich als Metastasen erweisen, besteht die Möglichkeit einer Chemotherapie.
B Untersuchung der Herz-Kreislauf- und Lungenfunktion
Die endgültige Therapieentscheidung ist nicht nur abhängig vom Tumortyp und von der Tumorausbreitung (siehe Kapitel 11), sondern wird zudem maßgeblich beeinflußt von Alter und Allgemeinzustand eines Patienten, seinen Begleiterkrankungen und dem Ergebnis spezieller Herz-Kreislauf-Untersuchungen und der Lungenfunktionsprüfung.
Dies gilt in besonderen Maße bei einem geplanten operativen Vorgehen. Aber auch im Falle einer Bestrahlung oder einer Chemotherapie ist vorher zu überdenken, ob der Patient die Anstrengungen einer solchen Therapie durchstehen kann oder ob zusätzliche Erkrankungen die eine oder andere Therapieform oder die Wahl eines bestimmten Chemotherapeutikums ausschließen (siehe auch Kapitel 14).
Im Zusammenhang mit einer Operation verwendet man den Begriff der „funktionellen Operabilität“ und meint damit, dass ein Patient von seiten seiner Herz-Kreislauf-Funktion sowie seiner Lungenfunktion  in dem geplanten Ausmaß ohne größeres Risiko operiert werden kann.
Die nachfolgend aufgeführten Untersuchungen gehören zum Routineprogramm vor einer Lungenoperation.
Blutgasanalyse
Die Bestimmung des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehaltes im Blut gibt erste Hinweise auf das Vorliegen bedeutsamer Begleiterkrankungen. Eine hochgradige Hypoxämie und/oder eine Hyperkapnie reichen in einigen Fällen als Beweis der Inoperabilität aus.
Bodyplethysmographie/Spirometrie
Die Messung verschiedener Lungenvolumina in einer geschlossenen Messkammer (Bodyplethysmograph) ist die zentrale Untersuchung zur Beurteilung der Lungenfunktion. Mittels dieser Methode läßt sich nicht nur das Ausmaß der Funktionseinschränkung, sondern auch die Art der Funktionsstörung erkennen (Obstruktion, Restriktion, Überblähung).
Der wichtigste Einzelwert ist der FEV1-Wert, das „forcierte expiratorische Volumen, das in einer Sekunde ausgeatmet werden kann.
Werte über 80 % der errechneten Normwertes (oder > 2,5 Liter) erlauben eine Operation bis hin zur Entfernung eines ganzen Lungenflügels („Pneumonektomie“) (siehe auch Kapitel 13 und14).
Bestimmung des Tranferfaktors
Der Transferfaktor gibt Auskunft über das Sauerstoff-Austauschvermögen der Lunge zwischen der Atemluft und dem Blut. Auch hier gelten Werte über 80 % des errechneten Normwertes als Nachweis einer uneingeschränkten Operationsfähigkeit bis hin zur Entfernung eines ganzen Lungenflügels („Pneumonektomie“).
EKG
Das EKG stellt eine Basisuntersuchung dar.
Belastungs-EKG oder Oxyergometrie
Das EKG unter Belastungsbedingungen (in der Regel Fahrradfahren) offenbart die allgemeine körperliche Belastbarkeit eines Patienten, ist aber darüber hinaus eine empfindliche Methode zum Aufspüren von Herzdurchblutungsstörungen und Herzrhythmusstörungen.
Finden sich pathologische Befunde, so muss gegebenenfalls vor der geplanten Operation noch eine große Herzkatheter-Untersuchung (Linksherzkatheter = Koronarangiographie) oder ein Langzeit-EKG über 24 Stunden durchgeführt werden.
Oftmals wird während des Belastungs-EKG zusätzlich mehrfach der Blutgasgehalt ermittelt, um das Sauerstoffaufnahme-Verhalten der Lunge unter Belastung zu prüfen. Diese Kombinationsuntersuchung bezeichnet man als „Oxyergometrie„.
Bestehen Zweifel an der Operationsfähigkeit, so werden weitere, ergänzende Untersuchungen durchgeführt, die in aller Regel einem vorher festgelegten Schema folgen.
Echokardiographie
Die Echokardiographie dient der Beurteilung von Zustand und Funktion der Herzklappen sowie der allgemeinen Pumpfunktion des Herzens und läßt Rückschlüsse auf verschiedene Herzerkrankungen zu.
Spiroergometrie
Die Spiroergometrie stellt eine Kombination von Belastungs-EKG und Lungenfunktionsprüfung dar. Sie gibt Aufschluss über die Funktionsreserve von Herz und Lunge. Der wichtigste Einzelwert ist die „maximale Sauerstoffaufnahme“ (< 10 ml pro kg Körpergewicht = sicher nicht operationsfähig).
Lungen-Perfusionsszintigraphie
Mit Hilfe dieser nuklearmedizinischen Methode die Lungendurchblutung des linken und des rechten Lungenflügels seitengetrennt bestimmt werden. Dadurch lässt sich recht zuverlässig vorhersagen, wie die Lungenfunktion nach Operation ausfallen wird.
In den meisten Fällen kann mit Hilfe der genannten Untersuchungen vorhergesagt werden, ob eine Operation überhaupt möglich ist, ob ein gesamter Lungenflügel oder nur ein Teil der Lunge (in der Regel ein Lungenlappen) entfernt werden kann und ob ein erhöhtes Operationsrisiko besteht.
Trotz umfangreichster Voruntersuchungen wird es aber immer wieder Grenzfälle geben, bei denen eine Operation prinzipiell möglich, das Komplikationsrisiko jedoch extrem hoch erscheint. In diesen Fällen tritt der ärztliche Ratschlag in den Hintergrund, die Entscheidung für oder gegen eine Operation hängt dann wesentlich von der Risikobereitschaft des Patienten ab.