11. Was ist ein Pancoast-Tumor oder Sulcus-Superior-Tumor ?

Der sogenannte Pancoast-Tumor oder Sulcus-Superior-Tumor wird oftmals gesondert betrachtet, weil er an einer bestimmtem Stelle in der Lungenspitze (dem sogenannten Sulcus superior) entsteht und durch diese Lage
  1. ein typisches Beschwerdebild aufweist und
  2. die Therapie einem abgewandelten Behandlungsschema folgt.
In Vergleich zur Gesamtzahl der Bronchialkarzinome tritt ein Pancoast-Tumor selten auf, insgesamt nehmen weniger als 5 % aller Bronchialkarzinome ihren Ausgang vom Sulcus superior in der Lungenspitze.
Das häufigste Symptom sind einseitige Schulterschmerzen mit Ausstrahlung in den Arm, die Rippen, den Rücken oder den Nacken, bedingt durch ein Einwachsen des Tumors in umliegende Nervenbahnen (Plexus brachialis), Weichteilgewebe oder knöcherne Strukturen.
Insbesondere im Arm können sich neben Schmerzen auch Muskelschwäche und Missempfindungen (zum Beispiel Kribbeln) einstellen.
Geradezu klassisch ist das Auftreten des sogenannten „Horner-Syndroms„. Als „Horner-Syndrom“ bezeichnet man die Kombination von herabhängendem Augenlid („Ptosis„), Pupillenverengung („Miosis„), Zurücktreten des Augapfels („Enophthalmus„) und aufgehobener Schweißbildung („Anhidrosis„) auf einer Seite.
Ursächlich ist eine durch Tumoreinwachsen/Tumorkompression bedingte Beeinträchtigung des nahegelegenen Ganglion cervicale inferior (Ganglion stellatum), das als Teil des sympathischen Nervensystems ist die Funktionen von Augenlid-Öffnung, Pupillenerweiterung, Schwitzen usw. steuert.
Die Diagnostik erfolgt mittels der üblichen Untersuchungen (siehe Kapitel 6-10).
Der weit überwiegende Anteil der Pancoast-Tumoren sind nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome (Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome, großzellige Karzinome). Kleinzellige Bronchialkarzinome finden sich in weniger als 5 % der Fälle (siehe auch Kapitel 11).
Die Einteilung erfolgt nach der TNM-Klassifikation (nicht-kleinzellige Bronchialkarzinome) oder der VALG/Marburger-Klassifikation (kleinzellige Bronchialkarzinome).
Aufgrund ihrer besonderen Lage handelt es sich immer im T3- oder T4-Tumoren (siehe Kapitel 11).
Die Behandlung der kleinzelligen Pancoast-Tumoren erfolgt wie üblich mittels Chemotherapie und gegebenenfalls anschließender Bestrahlungstherapie.
Die Behandlung der nicht-kleinzelligen Pancoast-Tumoren weicht insofern von der Behandlung der übrigen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinome ab, als dass bei allen Pancoast-Tumoren eine primäre Operation nicht möglich ist.
Früher sah man Pancoast-Tumoren als generell inoperabel an, inzwischen werden folgende Therapiestrategien diskutiert:
  1. präoperative (neoadjuvante) Bestrahlungstherapie mit Zielvolumendosen zwischen 20 und 65 Gy und anschließend Operation von Tumor, Brustwandanteilen und anderer befallener Strukturen soweit möglich. Die früher angewandte sogenannte Sandwich-Technik mit Vorbestrahlung, Operation und Nachbestrahlung bringt keinen Vorteil gegenüber alleiniger Vorbestrahlung.
  2. Präoperativ Durchführung mehrerer Zyklen Chemotherapie sowie zeitgleich/nachfolgend Bestrahlungstherapie mit Zielvolumendosen zwischen 20 und 65 Gy und anschließender Operation von Tumor, Brustwandanteilen und anderer befallener Strukturen soweit möglich (siehe Kapitel 15).
  3. Alleinige Bestrahlungstherapie mit Zielvolumendosen von mindestens 60 Gy.
Die Auswahl des Therapieverfahrens richtet sich zusätzlich selbstverständlich auch nach dem Tumorstadium (siehe Kapitel 14). Bei Vorliegen von Fernmetastasen (Stadium IV) oder Lymphknotenbefall der anderen Seite (Stadium III B) führt eine Operation nachweislich zu keiner Lebensverlängerung und kommt daher nicht in Betracht.
Im Falle einer Operation wird auch bei Pancoast-Tumoren der komplette Lungenlappen (in diesem Fall immer der Lungenoberlappen) bzw. der komplette Lungenflügel entfernt.
Welches dieser 3 oben genannten Verfahren letztendlich die besten Resultate erreicht, ist auch heute noch umstritten und anhand der bisher durchgeführten Studien nicht eindeutig zu klären.
Die meisten Fachleute empfehlen heute die an Nr. 2 genannte Therapie mit adjuvanter kombinierter Chemo-Bestrahlungstherapie und anschließender Operation, sofern der Zustand des Patienten diese sehr anstrengende, oft nebenwirkungsreiche Therapie zulässt.
Die Heilungsaussichten und Überlebenszeiten sind vergleichbar den übrigen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen im Tumorstadium III a, III B und IV.
Bei bestrahlten und operierten Patienten (Tumorstadien III A und III B) liegen die 5-Jahres-Überlebensraten etwa zwischen 20 und 35 %.