13. Wie erfolgt die Auswahl der Therapie ?

Welches Verfahren bzw. welche Kombination von Verfahren gewählt wird, hängt wie erwähnt von Tumortyp, Tumorstadium und Begleiterkrankungen ab.
Die nachfolgende Auflistung stellt den derzeitigen international gültigen Therapiestandard dar:
A Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Grundlage der Behandlung kleinzelliger Bronchialkarzinome ist die Gabe von 4-6 Kursen einer Polychemotherapie, in der Regel nach dem ACO-Schema oder dem CE-Schema (siehe Kapitel 13).
Limited Disease
Bei begrenzter Tumorausdehnung (limited disease) schließt sich der Chemotherapie immer eine konsolidierende Strahlentherapie des Primärtumors und des Mediastinums an.
Sollte sich unter dieser Therapie eine vollständige Rückbildung („CR = complete remission“) des Tumors zeigen, wird in der Regel eine prophylaktische Schädelbestrahlung durchgeführt. Mit dieser Schädelbestrahlung kann das Risiko eines Wiederauftreten des Tumors zuerst im Gehirn (cerebrales Tumorrezidiv) von 30 % auf 8 % gesenkt werden.
In den wenigen Fällen, in denen das kleinzellige Bronchialkarzinom in seinem frühesten Stadium erkannt wird (VLD = very limited disease nach der Marburger Klassifikation), kann über eine Lungenoperation die Heilungsrate nochmals verbessert werden. Chemotherapie und Bestrahlung entweder vorher, nachher oder gesplittet bleiben aber obligat.
In allen anderen Stadien ist die Operation aufgrund der frühzeitigen Metastasenbildung dieses Tumors und des guten Ansprechens auf Chemotherapie (und Bestrahlung) keine Therapie-Alternative.
Extensive Disease
Bei ausgedehntem Tumor (ED II A und ED II B nach der Marburger Klassifikation, extensive disease nach VALG) mit Nachweis von Fernmetastasen bleibt die Chemotherapie zunächst die einzige Therapie-Maßnahme.
Bei schlechtem Allgemeinzustand oder schlechter Therapieverträglichkeit ist aufgrund des geringen Gewinns an Lebenszeit auch ein Verzicht auf die Chemotherapie gerechtfertigt. Die weiteren Maßnahmen haben dann rein unterstützenden Charakter (Flüssigkeitsgabe, Schmerzlinderung, Blutkonservengabe, Infektbehandlung usw.). Eine Strahlentherapie wäre in diesem Tumorstadium allein der Behandlung von Komplikationen vorbehalten (siehe auch Therapieauswahl beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom).
Ausnahme ist ein Tumor entsprechend Stadium ED I nach der Marburger Klassifikation mit ausgedehntem Lokalwachstum ohne Nachweis von Fernmetastasen, der ebenfalls eine konsolidierende Strahlentherapie des Primärtumors und des Mediastinums und bei vollständiger Rückbildung eine zusätzliche Schädelbestrahlung erhält.
B Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom
Stadium I A/B und II A/B
Bei den nicht-kleinzelligen Tumoren (Plattenepithelkarzinom, Adenokarzinom, Großzelliges Karzinom) stellt die Operation die Standardtherapie für lokal begrenzte Tumoren in denTumorstadien I und II (siehe Kapitel 11) dar. Sie bietet die größte Heilungschance.
Kann auf Grund von Lungen-Vorerkrankungen nur weniger als ein Lungenlappen entfernt werden („Segmentresektion“ oder „atypische Klemmenresektion„), so steigt das Risiko eines Wiederauftretens des Tumors an derselben Stelle (Lokalrezidiv) um den Faktor 3. Trotzdem bietet die Operation auch in diesem Fall gegenüber den anderen Therapieverfahren die besseren Heilungsaussichten.
Kann auf Grund von Begleiterkrankungen oder lungenfunktionellen Einschränkungen keine Operation durchgeführt werden, so besteht die Möglichkeit einer Bestrahlung.
Im Tumorstadium I und II (extrem selten auch im Tumorstadium III) kann durch einealleinige Strahlentherapie  eine Heilung erreicht werden („kurativer Therapie-Ansatz„). Die Erfolgsaussichten jedoch sind insgesamt begrenzt (2-Jahres-Überlebensrate bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen etwa 20 %, Heilungsrate etwa 5 %).
Eine Nachbestrahlung von Tumoren im Stadium I und II  (N0 oder N1) bringt einer großen Studie von 1998 zufolge ungünstigere Überlebensdaten und wird daher nicht mehr durchgeführt.
Der Nutzen einer Chemotherapie vor („neoadjuvant“) oder nach („adjuvant“) einer Operation ist nicht gesichert, so dass der Einsatz außerhalb von Studien nicht zu empfehlen ist.
Stadium III A/B
Bei Tumoren im Stadium III A bis T3N1-Ausdehnung ist eine primäre Operation möglich.
Stadium III A-Tumoren mit fortgeschrittenem  Lymphknotenbefall (N2-Lymphknoten)im Bereich des Mediastinums auf der betroffenen Seite (ipsilaterale mediastinale Lymphknoten) werden allenfalls dann operiert und anschließend nachbestrahlt, wenn nurein Lymphknoten in N2-Position befallen ist.
Bei Befall von mehr als einem Lymphknoten ist eine vollständige Tumorentfernung samt aller tumorbefallenen Lymphknoten nicht wahrscheinlich. Durch kombinierte Vorbehandlung mittels Bestrahlung und Chemotherapie und wird nun versucht, diese Tumoren soweit zu verkleinern, dass sie anschließend durch eine Operation doch noch vollständig entfernt werden können (siehe auch Kapitel 15).
Lokal weit fortgeschrittene Bronchialkarzinome im Tumorstadium III B sind nicht operabel. Ob sie durch Vorbehandlung operationsfähig gemacht werden können, wird derzeit im Rahmen von Studien erforscht, muß aber insgesamt bezweifelt werden.
Nicht operable Tumoren können bestrahlt werden, um eine Lebensverlängerung und/oder eine Beschwerdebesserung zu erzielen („palliativer Therapieansatz“). Eine Heilung durch die Strahlentherapie („kurativer Therapieansatz“) ist in diesem Stadium extrem selten.
Komplikationen wie obere Einflußstauung, tumorbedingter Verschluß von Bronchien (Atelektase), Bluthusten oder anhaltende Schmerzen sind die häufigsten Gründe für eine palliative Bestrahlung.
Ähnliches gilt für die Chemotherapie. Auch hier kann die Gabe geeigneter Chemotherapeutika (siehe Kapitel 13) zu Lebensverlängerung und/oder Beschwerdebesserung führen.
Die Kombination beider Verfahren zeigt das beste Überlebensergebnis bei nicht operablen Patienten, hat aber eine wesentlich erhöhte Nebenwirkungsrate. Ob die Verfahren gleichzeitig, nacheinander oder in Intervallen angewendet das beste Ergebnis bewirken, ist derzeit noch nicht geklärt.
Im Gegensatz zu symptomatischen Patienten, die einer Behandlung bedürfen, muß bei beschwerdenfreien Patienten sehr gut zwischen dem Gewinn an Lebenszeit und dem durch Nebenwirkungen verursachten Verlust an Lebensqualität abgewogen werden.
In einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen (~ 50%)  muß das vor der Operation vermutete Tumorstadium postoperativ bei der feingeweblichen Aufarbeitung des Resektats korrigiert werden. Das tatsächliche Tumorstadium ist dann zumeist ungünstiger.
Die Indikation zu einer („adjuvanten“) Bestrahlung nach Operation besteht bei nicht-vollständiger Tumorentfernung (R1- oder R2-Resektion), Nachweis von Lymphknotenbefall im Bereich des Mittelfells auf der gleichen und/oder gegenüberliegenden Seite (ipsilaterale und/oder kontralaterale mediastinale Lymphknoten, N2 und/oder N3) und/oder ausgedehntem Befall von Mediastinum und/oder Thoraxwand.
Verabreicht werden 50-60 Gray, die Bestrahlung beginnt in der Regel 4 (bis maximal 8) Wochen nach Operation.
Viele offene Fragen bestehen noch hinsichtlich des Stellenwertes einer („adjuvanten“)Chemotherapie nach Operation sowie hinsichtlich des Nutzens einer kombinierten Radio-Chemotherapie nach Operation. Die generelle Durchführung einer Chemotherapie oder kombinierten Radio-Chemotherapie kann postoperativ in diesem Tumorstadium derzeit nicht empfohlen werden.
Stadium IV
Finden sich neben dem primären Bronchialkarzinom bereits weitere Lungenmetastasen oder aber Fernmetastasen in anderen Organen (Tumorstadium IV), so werden weder der Primärtumor noch die (Lungen-) Metastasen operiert, da sich in vielen Untersuchungen herausgestellt hat, dass sich bei diesen Patienten die Lebenserwartung durch eine Operation im Vergleich zu einer nicht-operativen Behandlung nicht verbessert.
Einzig wenn die Metastase(n) im selben Lungenlappen wie der Ausgangstumor gelegen ist (sind), wird eine Operation angestrebt, da dann die Lebenserwartung deutlich höher und sogar eine Heilung möglich ist. Daher werden diese Tumoren seit 1997 nicht mehr als M1, sondern als T4 klassifiziert.
Abweichungen von dem beschriebenen Vorgehen ergeben sich gelegentlich in akuten Notfallsituationen, die den Arzt zum Handeln zwingen. So würde eine Tumorblutung, die mit anderen Maßnahmen nicht zum Stillstand gebracht werden kann, operiert werden, sofern der Patient operationsfähig ist und nach der Operation noch eine akzeptable Lebensqualität und Lebensdauer zu erwarten ist.

Die Therapie der Wahl besteht in einer („palliativen“) Chemotherapie, die gegenüber einem allein zuwartenden Verhalten („best supportive care„) abgewogen werden muß.
In etwa 50 % der Fälle kann mit einer Chemotherapie eine Lebensverlängerung (um einige Wochen bis Monate) und/oder eine Besserung der Lebensqualität erreicht werden. Angesichts der modernen Chemotherapeutika, die gegenüber früheren Therapie-Regimen weniger Nebenwirkungen aufweisen, wird heutzutage bei befriedigendem Allgemeinzustand des Patienten ein Therapieversuch empfohlen.

Eine Bestrahlung des Bronchialkarzinoms wird dagegen nur in Ausnahmefällen bei Tumorkomplikationen und sonst noch befriedigendem Allgemeinzustand durchgeführt.
Neben dem Primärtumor in der Lunge können auch Metastasen in anderen Organe bestrahlt werden. Häufigste Bestrahlungsorte außerhalb des Brustkorbes sind das Gehirn und die Knochen.
Ziel der Bestrahlung ist immer die Verminderung von Beschwerden (Vermeidung/Besserung neurologischer Ausfallserscheinungen, Reduktion von Schmerzen, Stabilisierung von metastatisch bedingten Knochenbrüchen). Eine Lebensverlängerung oder gar eine Heilung ist durch die Bestrahlung von Metastasen nicht zu erreichen.
Eine Sonderstellung nimmt das Vorliegen einer einzelnen Hirnmetastase bei sonstiger Metastasenfreiheit ein. Hier bringt die Operation mit anschließender Bestrahlung eine Lebensverlängerung.
Begriffserläuterung:
Simultane/synchrone Therapie:
Zeitgleiche Anwendung mehrerer Therapieverfahren
Adjuvante Therapie:
Nach Durchführung einer potenziell heilenden Therapie (zum Beispiel einer Tumorentfernung) wird eine zusätzliche  Therapie (zum Beispiel eine Chemo- oder eine Strahlentherapie) durchgeführt, um die Heilungschancen noch zu erhöhen.
Neoadjuvante Therapie:
Durchführung  von Therapiemaßnahmen (Chemotherapie und/oder  Strahlentherapie) mit dem Ziel, den Tumor soweit zu verkleinern, dass eine Operation möglich ist und damit die Heilungsaussichten zu verbessern (siehe auch Kapitel 15)
Kurative Therapie:
Therapie mit dem Ziel einer Heilung
Salvage-Therapie:
Erneute intensive Therapie bei Tumorrezidiv mit dem Ziel einer Heilung
Palliative Therapie:
Therapie zur Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung des Tumorleidens ohne die Möglichkeit einer Heilung.